Wie tickt unser Rechtsstaat?

Veröffentlicht: März 27, 2014 in Jus
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Warum sollte ich diesen Artikel lesen: Weil ich hier nicht alltägliche Informationen über Abläufe und Denkweise von Staatsanwaltschaft und Gericht in einem Strafverfahren erfahre.

Wie lange brauche ich, ihn zu lesen: etwa 6 min

Letzte Woche hat ein Waldbrand oberhalb von Absam tagelang ganz Tirol in Atem gehalten. Ein 18-jähriger Wanderer löste vermutlich das Feuer mit einer weggeworfenen Zigarette aus und alarmierte danach die Einsatzkräfte. Erst am Sonntag sorgten ergiebige Schneefälle dann endlich für „Brand Aus“. Das Land Tirol hat kulanterweise auf bis zu 3Mio EUR zivilen Schadenersatz verzichtet, strafrechtlich wird die Angelegenheit für den mutmaßlichen Verursacher aber mit Sicherheit ein juristisches Nachspiel haben. Die Bevölkerung ist zweigeteilt: die einen wollen den jungen Mann am liebsten für ewig in Einzelhaft verwahrt wissen, die anderen fordern lautstark Gnade.

Um kontraproduktive Polemik ein wenig einzubremsen, hier ein paar Einblicke, wie der österreichische Rechtsstaat, respektive seine Strafverfolgungsbehörden denken und arbeiten. Früher (bis ins 18. Jahrhundert) war es üblich, dass das Gericht ein Strafverfahren eröffnet, den Fall aufklärt und urteilt. Ankläger und Richter fielen somit in Personalunion zusammen, man nannte das Inquisitionsprozess. Heute ist das Strafprozessrecht wesentlich moderner: der Anklagegrundsatz trennt nun strikt die Funktionen, einen Vorwurf zu erheben und darüber zu urteilen.

 Das Ermittlungsverfahren

Sachlich zuständig ist in dieser Phase immer das Landesgericht des Sprengels, in der die Ausführungshandlung der Straftat passiert ist. Sobald die Kriminalpolizei von einer (mutmaßlichen) Straftat erfährt, startet schon das offizielle Ermittlungsverfahren. Die Beamten holen Erkundigungen ein, nehmen Beweise auf und versuchen, die Tatbestandsmerkmale möglichst klar zu ermitteln.

Bevor man nun als Bürger fordert, den Beschuldigten doch nicht weiter zu belästigen, sollte man sich über die Verfolgungspflicht der Behörden im Klaren sein. Sie sind verpflichtet (nicht nur berechtigt), für die Aufklärung aller Straftaten zu sorgen, die ihnen in amtlicher Eigenschaft bekannt werden. Das ergibt sich auch aus dem Legalitätsprinzip unserer Bundesverfassung. Auch bei kleineren Taten muss ermittelt werden, selbst wenn der zur Aufklärung notwendige Aufwand signifikant größer ist.

Der Staatsanwalt leitet die Ermittlungen, er ist somit eine Art Kontrollinstanz der polizeilichen Tätigkeit und achtet unter anderem auf Gesetzmäßigkeit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit sowie die Unschuldsvermutung.

In dieser Phase können Personen durch die Kriminalpolizei festgenommen werden. Eine rechtskonforme Festnahme erfordert konkreten Tatverdacht und Grund, sie muss vom Gericht genehmigt werden. Um jemanden vor Gericht anzuklagen, ist es natürlich nicht zwingend notwendig, ihn vorher festzunehmen. Eine Anzeige auf freiem Fuß reicht vollkommen.

Entgegen landläufiger Volksmeinung unterliegt auch die Verhängung der Untersuchungshaft exakten Voraussetzungen wie zB das Vorliegen von Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr, Tatbegehungsgefahr oder Ausführungsgefahr. Das gilt für Prominente gleichermaßen wie für Normalsterbliche.

Am Ende des Ermittlungsverfahrens erhebt der Staatsanwalt dann vor Gericht formelle Anklage, (nur) wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Der Sachverhalt ist hinreichend geklärt, das Beweismaterial reicht (aus Sicht des Staatsanwalts) zur Überführung des Beschuldigten aus.
  • Kein Grund für die Einstellung des Verfahrens (zB wegen Geringfügigkeit).
  • Eine Verurteilung muss (aus Sicht des Staatsanwalts) naheliegen.
  • Ein Rücktritt im Zuge der Diversion ist nicht möglich.

In diesem Fall würde die Anklage also in Form eines Strafantrags an das Bezirksgericht erfolgen.

Nicht immer ist allerdings eine Verurteilung die sinnvollste Möglichkeit des Rechtsstaates – als Alternative gibt es die Diversion. Sie kommt in Frage, wenn der Sachverhalt hinreichend geklärt ist, die Tat nicht in die Zuständigkeit des Schöffen- oder Geschworenengerichts fällt, kein Toter zu beklagen war und die Schuld des Beschuldigten nicht schwer ist. Sie ist sinnvoll, wenn die diversionelle Maßnahme und der Schadenersatz eine im Sinne der Rechtsordnung angemessene Reaktion auf die Tat darstellt. Zu den möglichen Maßnahmen zählen Geldbuße, die Erbringung gemeinnütziger Leistungen, Bewährung in einer Probezeit oder Tatausgleich.

Eine Diversion ist aber nur denkbar, wenn eine Bestrafung nicht geboten erscheint, um den Beschuldigten (Spezialprävention) oder andere (Allgemeinprävention) von zukünftigen Straftaten abzuhalten. Sie kann vom Staatsanwalt vor dem Hauptverfahren bzw. vom Gericht im Hauptverfahren durchgeführt werden.

Das Hauptverfahren

Die sachliche Zuständigkeit des Gerichts im Hauptverfahren wird durch den Strafrahmen des Delikts determiniert. In diesem konkreten Fall wird es sich höchstwahrscheinlich um §170 Absatz 1 StGB Fahrlässige Herbeiführung einer Feuersbrunst handeln. Die maximale Strafandrohung lautet auf ein Jahr Freiheitsstrafe – somit landet der Fall dann wohl vor dem Einzelrichter des Bezirksgerichtes Hall in Tirol.

Im Falle des §170 StGB handelt es sich um ein sogenanntes Fahrlässigkeitsdelikt, der Richter wird sich daher unter anderem folgende juristische Fragen stellen:

  • Handelte es sich bei dem Waldbrand tatsächlich um eine Feuersbrunst? Die wird in der Judikatur definiert als Feuer mit einer so großen Ausdehnung, dass es nur schwer löschbar ist sowie einer damit verbundenen abstrakten Gefahr, dass Menschen oder fremdes Eigentum in großem Ausmaß zu Schaden kommen können.
  • War das Wegwerfen einer glimmenden Zigarette in einem trockenen Wald objektiv sorgfaltswidrig? Wie hätte die juristische Modellfigur eines einsichtigen und besonnenen Menschen in dieser Situation gehandelt?
  • Besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen der weggeworfenen Zigarette und dem darauf folgenden Waldbrand?
  • Gibt es eine objektive Zurechnung des Erfolgs? Liegt es innerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung zu wissen, dass eine glimmende Zigarette auf Holz und Reisig ein Feuer entfachen kann? Hier spricht man auch von einem Adäquanzzusammenhang.
  • War das Wegwerfen der Zigarette subjektiv sorgfaltswidrig und der Waldbrand für den Beschuldigten subjektiv vorhersehbar?
  • Gibt es Rechtfertigungsgründe für die Tat? (die können für die Schuldfrage entscheidend sein)
  • Gibt es Milderungsgründe? (die können für das Strafmaß entscheidend sein)

Auch wenn es das Bauchgefühl eines Unbeteiligten vielleicht nicht ganz nachvollziehen kann: beim §170 StGB gibt es keine strafbefreiende tätige Reue.

Für das Urteil muss der Richter alle in der Hauptverhandlung aufgenommenen Beweise würdigen. Im Klartext bedeutet das: der Richter kann nach freier Überzeugung entscheiden, im Zweifel allerdings stets zu Gunsten des Angeklagten (in dubio pro reo).

Ein gefälltes Urteil können die Prozessparteien mit dem Rechtsmittel der Berufung an das Landesgericht Innsbruck anfechten. Diese Berufung kann wegen Nichtigkeit, Schuld, Strafe und privatrechtlicher Ansprüche erhoben werden.

Ungewisse Zukunft

Meine persönliche Einschätzung

Der Sachverhalt und die Verantwortlichkeit wird wohl im Ermittlungsverfahren nicht zuletzt dank der sofortigen Kooperation des mutmaßlichen Verursacher ziemlich rasch geklärt werden. Wenn man den Medienberichten über den Unfallhergang glaubt (und andere Informationen gibt es zur Zeit öffentlich nicht), dann ist ein Freispruch in der strafrechtlichen Hauptverhandlung nur schwer vorstellbar.

Ich hoffe also im Sinne des mutigen jungen Mannes, der seinen folgenschweren Fehler nicht wie manch andere Übeltäter verschwiegen und vertuscht hat, auf eine diversionelle Erledigung am Ende des Ermittlungsverfahrens.

 

Disclaimer: Ich studiere Rechtswissenschaften an der Uni Innsbruck. Sämtliche Informationen sind nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt, aber ohne jegliche Gewähr oder Anspruch auf Vollständigkeit.

Kommentare
  1. walterra sagt:

    Jeder Vergleich hinkt, eh klar :), aber ganz erschließt sich mir die Entscheidung des Landes Tirol mit dem Verzicht auf Schadensersatzforderung und der Begründung mit der „Existenzgefährdung“ nicht. Die 3Mio. wären ja keine Strafe sondern müssen ja tatsächlich aufgebracht werden für die Behebung des Schadens. Im Gegensatz dazu sind beim Hochwasser letztes Jahr viele unverschuldet zu Schaden gekommen und das Land Tirol übernimmt bis zu 50% der Kosten. Auch wenn das prinzipiell super ist, die restlichen 50% müssen die Menschen auch irgendwie aufbringen und das kann immer noch „existenzgefährdend“ sein.

    Und ich bin mir nicht sicher, was das für eine Vorbildwirkung hat, wenn das Land Tirol hier Gnade walten lässt und auf Schadensersatz verzichtet.

    Und um den Bogen etwas übertrieben weiterzuspannen: Was ist mit Sozialfällen, die am Rande des existenziellen Abgrunds stehen? Nimmt das Land Tirol diese Existenzgefährdungen eher in Kauf?

  2. Harry Richter sagt:

    Also erstens ist es gelungen einen Beitrag zu schreiben, der auch für den interessierten Leser verständlich ist und nicht nur für die Studierenden der JUS-Fakultäten.

    Und gleichzeitig wird auch die persönliche Lust geweckt „Richter zu spielen“ (auch wenn ich – zumindest dem Namen nach – einer bin) und einen Kommentar – bzw. eine persönliche Meinung – zu dem Fall abzugeben.

    Wenn man deinem Beitrag folgt, gibt es einige Abzweigungspunkte an denen man von einer Verurteilung „abbiegen“ könnte (Auf was ich persönlich sehr hoffe).

    Wenn man an die Sache mit Menschenverstand herangeht müsste man eigentlich sagen, dass wenn man die Chance dazu hat dieser Mann von Schuld zu befreien wäre (bzw. ihm gar keine Schuld angelastet werden sollte), denn er hat vielleicht (fahrlässig?!, entschuldbar?!?) einen Fehler begangen, danach aber mit den für ihn zur Verfügung stehenden Mitteln alles dazu getan diesen wieder zu beheben.

    Somit Schlussfolgerung für mich zu dem Fall (kann man natürlich nicht mit einem Fall mit Personenschaden vergleichen): Es sollte ein Verfahren geführt werden, dessen Urteil aber keine persönlichen Konsequenzen (monetär oder gar freiheitsberaubend) für den Herrn nach sich zieht, allerdings sollte – falls jemand anderem außer dem Staat – ein Schaden entstanden ist, dieser natürlich ersetzt werden.

    Dieser Mensch hat sicherlich in den letzten Tagen genug miterlebt und wird nicht mehr in die Versuchung kommen einen ähnlichen Fehler zu begehen (Zu wünschen wäre ihn, dass er überhaupt mit dem Rauchen aufhört!).

    Harry

  3. tomthaler sagt:

    Ich verstehe genau, was du sagen willst. Als ich gestern auf Twitter von dieser politischen Entscheidung gelesen habe, waren meine ersten Gedanken

    1) Fein, mit fremden (=Steuer) Geld kann man leicht großzügig sein
    2) Bedeutet das in Analogie, dass nun in Zukunft alle öffentlichen Gebietskörperschaften in Tirol wie Krankenkassen, etc auf die Eintreibung der ihr zustehenden Geldmittel kulanterweise verzichten? Jedes Jahr werden alleine in Österreich zig Existenzen durch straffe Konkursanträge der KK und Finanzamt nicht nur gefährdet, sondern definitiv vernichtet.

    Aber pragmatisch betrachtet: Ob die 3Mio jemals einbringlich wären, ist wohl mehr als fraglich. Und ich lese in einer Zeitung zur Abwechslung gerne mal gute Nachrichten. Daher freue ich mich mit dem jungen Mann, dass schon mal ein Damoklesschwert nicht mehr über ihm hängt.

  4. tomthaler sagt:

    @Harry Auf Facebook hat einer meiner Buddies die Idee gebracht, statt einer Gefängnisstrafe den jungen Mann zu verpflichten, in einem dutzend Schulen Aufklärung zu dem Thema zu betreiben.

    Finde ich super. Die Jugendlichen glauben ja einem Lehrer sicher niemals, wenn der predigt: „man darf in einem Wald keine glimmenden Zigaretten wegwerfen.“ Diesem Burschen würden sie wahrscheinlich eher glauben…

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